Luca Di Fulvio: Eine literarische Sensation in Italien, Frankreich und Deutschland
Autor: Manuela Corigliano

Fast ein Jahr ist vergangen. Es war der 31. Mai 2023, als die Augen, die wie jeden Tag zerstreut über ein Dutzend Posts auf Instagram gleiten, an einem kurzen Satz hängen bleiben: Luca Di Fulvio ist nicht mehr. Erschütterung und enorme Trauer.
Zahl und Tenor der Kommentare seiner Leserinnen und Leser zu der Nachricht von seinem frühen Tod zeigen genau, wie seine Romane wirkten und welche Spuren sie bei allen hinterließen, die das Glück hatten, ihm auch nur einmal zu begegnen, vielleicht bei einer Signierstunde am Rande einer Buchvorstellung.
Luca Di Fulvio wurde 1957 in Rom geboren und war in erster Linie ein Theatermann, abgesehen vom Schriftsteller. Seine Theatervision scheint auch in seiner Art durch, bestimmte Szenen in seinen Romanen zu „orchestrieren“, ebenso wie seine theatralische Gestik belebend wirkte, wenn er über Bücher sprach.
Er war Italiener, zu 100%, auch in einer bestimmten Vorstellung von Eleganz, er liebte Rom tief, und dennoch verband ihn seine Verlagsgeschichte doppelt mit zwei Ländern, die ihn literarisch willkommen hießen, verstanden, liebten und adoptierten: Deutschland und Frankreich.
Er hatte schon mehrere Bücher veröffentlicht, auch mit gutem Erfolg, aber der Roman, der ihm zum Qualitätssprung verhalf, vor allem eben durch die deutsche und französische Übersetzung, ist sicher La gang dei sogni, der in Italien 2008 erschien.
Im Jahr 2016 wurde in Frankreich der Verlag Slatkine & Cie (heute Istya & Cie) gegründet. Er befand sich noch im Aufbau, suchte noch nach seiner verlegerischen Linie, als ihm bei einem Blick nach Deutschland ein Buch auffiel, das dort eine wahre literarische Sensation geworden war: La gang dei sogni (in Italien mit über 100.000 Exemplaren verkauft) hatte in der deutschen Übersetzung Der Junge, der Träume schenkte im Verlag Bastei Lübbe über 1,4 Millionen Exemplare erreicht. Die Franzosen wandten sich also an Mondadori, um die Rechte für diesen Roman zu erwerben. Der italienische Verlag bot das Buch zunächst – wie es üblich ist – dem französischen Verlag an, der die vorherigen Werke übersetzt hatte. Dieser antwortete nicht. So führten die Verhandlungen zur Zusage für Slatkine & Cie. Mit der Übersetzung wurde Elsa Damien beauftragt. Le Gang des rêves wurde der erste Titel des neu gegründeten Verlags Slatkine & Cie, und es kennzeichnete den Beginn einer verlegerischen und menschlichen Partnerschaft, die Luca Di Fulvio Buch für Buch zu einem in Frankreich viel gelesenen und sehr beliebten Autor machte. Seine Leser und Leserinnen in Kontinentalfrankreich folgten ihn mit einer Zuneigung, Treue und Bewunderung, für die er sehr dankbar war. „Frankreich hat mich adoptiert“, pflegte er zu sagen.
Das Buch kam Anfang Juni heraus, aber den Durchbruch erlebte es im Juli, als die Journalistin Pascale Deschamps es in den Ein-Uhr-Nachrichten auf France 2 besprach. Ein tolles Sprungbrett, um dem Buch Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Dann passierte aber etwas Unglaubliches. Etwas, das die absolut einmalige Verlagsgeschichte dieses Autors begündete. Luca Di Fulvio stellt Mondadori seinen nächsten Roman vor, doch der Verlag zeigt keine große Begeisterung. Der Autor wendet sich also an seinen deutschen Verlag und da passiert das Undenkbare: Luca Di Fulvio, 100%-iger Italiener, wird zu einem deutschen Autor. Denn ab diesem Moment erscheinen seine Bücher zuerst in deutscher Übersetzung bei Bastei Lübbe, der dann die Rechte an die anderen Länder verkauft, einschließlich Italien. Das Land, in dem Di Fulvio lebt und schreibt, veröffentlicht also die Originalversionen seiner Romane, als wären sie ausländische Literatur – erst nach der Veröffentlichung in Deutschland. Frankreich folgt dem Autor mit Slatkine & Cie für das gebundene Format und mit Pocket für die Taschenbücher weiter und begleitet ihn bei seinen Veröffentlichungen, die zu steigender Beliebtheit bei der Leserschaft und im Buchhandel führen. So kamen also nach Le Gang des rêves (erschienen 2016, ein sehr erfolgreiches Debüt für den jungen Verlag) in die französischen Buchhandlungen: Les Enfants de Venise (Das Mädchen, das den Himmel berührte) 2017, Le Soleil des rebelles (Das Kind, das nachts die Sonne fand) 2018, Les Prisonniers de la liberté (Als das Leben unsere Träume fand) 2019, das Kinderbuch Les Aventuriers de l’autre monde (Die Kinder der verlorenen Bucht) 2020 und Mamma Roma (Es war einmal in Italien) 2021. 2023 erschien posthum Le Paradis caché, das in Deutschland 2022 mit dem Titel Das verborgene Paradies herauskam und in Italien noch nicht vorliegt.
Mamma Roma ist also das letzte Buch, das Luca Di Fulvio selbst in Frankreich vorstellte. Wenn man sich bewusst macht, dass er damals schon unter der Krankheit litt, erscheint die Freigebigkeit, mit der er sich seiner Leserschaft widmete, mit der er auf alle Fragen antwortete, mit der er alle Anekdoten anhörte, für jedes Foto lächelte und Dutzende Bücher signierte, wirklich berührend.
In seinen Romanen bewegt sich Luca Di Fulvio in verschiedenen geografischen Schauplätzen und Epochen und wechselt Landschaften und historische Ereignisse, wie man im Theater das Bühnenbild umbaut. In den Mittelpunkt der Bühne – und damit ins Herz seiner Werke – stellt er Figuren, die keine Angst haben, an ihre Träume zu glauben und Herausforderungen anzunehmen, die den Rahmen sprengen, für den sie ihrer Herkunft nach vorbestimmt zu sein scheinen.
Der Bänkelsänger monumentaler Geschichten feiert die Kraft des Lebens.
