Mercedes

Im Italienischen gibt es den idiomatischen Ausdruck „bagaglio di vita“, was so viel bedeutet wie „Reichtum an Lebenserfahrung“, wobei mit Erfahrung der gesamte Hintergrund einer Person gemeint ist, einschließlich der positiven Dinge, die man lernt, und all der Lasten, die man nicht loswird. Dieser Ausdruck, bagaglio di vita, bedeutet wörtlich übersetzt Lebensgepäck, so als ob man alle seine Erfahrungen in einen Koffer packen könnte. Diese Metapher ist der Schlüssel zum Verständnis der Mercedes von Daniel Cuello. Mercedes ist die mächtigste Frau der Welt, eine unbeholfene und schwerfällige Figur, eine knallharte Anti-Heldin, durchdrungen von Zynismus. Am Vorabend eines weltweiten Skandals, dessen Sündenbock sie sein wird, beschließt Mercedes zu fliehen, mit all ihren Assistenten im Schlepptau. Sie reist mit zwölf Koffern ab, die sie jedoch auf jeder Etappe ihrer Reise als symbolischen Weg in die Freiheit einen nach dem anderen abwerfen muss. Ihre metaphorischen Lasten und Gepäckstücke – ihr Lebensgepäck – sind allesamt Themen, die uns heute stark betreffen: Klimawandel, Missbrauch, Jugendarbeitslosigkeit, politische Korruption, Abwanderung und die ständige Suche nach Sündenböcken. Trotz des Reichtums an Themen und Andeutungen ist der Erzählstil auf das Wesentliche reduziert: Der Leser muss selbst die Lücken füllen, Antworten finden und das Fehlende herausfinden. Wie Mercedes in einer der berührendsten Szenen des Buches zu einem Jungen sagt: „Die Dinge, die ungesagt bleiben, sind die, die den größten Lärm machen“.